Schemann H. - Deutsche Idiomatik.pdf

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Deutsche Idiomatik
Wörterbuch der deutschen Redewendungen
im Kontext
2. Auflage, mit vollständig überarbeiteter Einführung
von
Hans Schemann
De Gruyter
Vorwort
Die
Deutsche Idiomatik
ist eine Neuauflage des im
Ernst Klett Verlag für Wissen und Bildung
1993 er-
schienenen Buchs.
Die damals vorangestellte wissenschaftliche Ein-
führung wurde durch eine völlig neue Darstellung
ersetzt. – Die
Idiomatik-Bibliographie –
damals wohl
die vollständigste zur Phraseologie – wurde nicht
wieder übernommen, da sie inzwischen durch neu-
ere Möglichkeiten des Einstiegs in die Phraseologie
oder Idiomatik ersetzt wurde. Der Interessierte fin-
det in dem ebenfalls im de Gruyter-Verlag erschie-
nenen
Internationalen Handbuch Phraseologie/
Phraseology
(2007) zu nahezu allen mit der Idioma-
tik verbundenen Fragen nicht nur wissenschaftliche
Darstellungen, sondern auch zuverlässige, aktuelle
Angaben und weiterführende Hinweise. – An (di-
gitalen) Bibliographien seien hier lediglich erwähnt:
Euralex, Europhras
und die
Kollokations-Bibliogra-
phie der Berlin-Brandenburgischen Akademie der
Wissenschaften.  –
In alle wesentlichen computer-
linguistischen und korpuslinguistischen Aspekte
der Phraseologie führen die Kapitel XVIII und XIX
des erwähnten Handbuchs ein. – Hingewiesen sei an
dieser Stelle noch auf
www.ettinger-phraseologie.de;
hier wird ein eigenes Corpus mit übers Internet ver-
fügbarem Material geschickt verknüpft, so daß der
Benutzer zugleich eine „klassische“, persönliche
Einführung in einen (signifikativen) Teilbereich der
phraseologischen Ausdrücke und einen Einblick in
ihre ständige Weiterentwicklung bekommt.
Dem Walter de Gruyter-Verlag sei an dieser Stelle
aufrichtig dafür gedankt, das Buch trotz der schwe-
rer werdenden Rahmenbedingungen übernommen
zu haben. Mein besonderer Dank gilt Herrn
Heiko
Hartmann.
Herrn
Herbert Ernst Wiegand
möchte ich auch
hier für seine langjährige unermüdliche Unterstüt-
zung herzlich danken.
Die Sprache, in ihrem wirklichen Wesen aufgefaßt, ist etwas
beständig und in jedem Augenblick
Vorübergehendes.
Selbst
ihre Erhaltung durch die Schrift ist immer nur eine unvoll-
ständige, mumienartige Aufbewahrung, die es doch erst wie-
der bedarf, daß man dabei den lebendigen Vortrag zu versinn-
lichen sucht. Sie ist selbst kein Werk (Ergon), sondern eine
Tätigkeit (Energeia). Ihre wahre Definition kann daher nur
eine genetische sein. Sie ist nämlich die sich ewig wiederho-
lende
Arbeit des Geistes,
den
artikulierten Laut
zum Ausdruck
des
Gedankens
fähig zu machen. Unmittelbar und streng ge-
nommen, ist dies die Definition des jedesmaligen
Sprechens;
aber im wahren und wesentlichen Sinne kann man auch nur
gleichsam die Totalität dieses Sprechens als die Sprache an-
sehen.
(Wilhelm von Humboldt)
Wenn in der Seele wahrhaft das Gefühl erwacht, daß die Spra-
che nicht nur ein Austauschungsmittel zu gegenseitigem Ver-
ständnis, sondern eine wahre
Welt
ist, welche der
Geist
zwi-
schen zwischen sich und die Gegenstande durch die innere
Arbeit seiner Kraft setzen muß, so ist sie auf dem wahren
Wege, immer mehr in ihr zu finden und in sie zu legen.
(Wilhelm von Humboldt)
Dichtung entspringt jenem ebenso sinnlichen wie geistigen
Sehen,
das in der umgebeneden Erscheinungswelt die tragen-
den und gründenden Verhältnisse und Bezüge einer eigent-
licheren Welt wahrnimmt, und ist mithin in ihrer ursprüng-
lichsten und zugleich höchsten Kraft eine Art Sehertum,
Sehertum des Seienden.
… – …Dichtung als die ursprüngli-
che Kraft solchen Sichtens eines tieferen eigentlichen Seins im
Seienden erweist sich damit als ebenso Welt entdeckend wie
Wirklichkeit begründend. Der Gegensatz von Ich und Welt,
Innen und Außen ist in diesem dichterischen Sichten von
vornherein übergriffen und aufgehoben, so daß wir diesen
Gegensatz des Subjektiven und Objektiven, des Erlebnisses
und des Erlebten, des Ausdrucks und des Ausgedrückten …
vernachlässigen können. … – … Das Mittel auf diesem Weg
der Dichtung ist nicht der
Begriff,
sondern das Gleichnis,
Bild.
Die Absicht: nicht das
Bezeichnen,
sondern das
Bedeuten.
Die
Genauigkeit,
die auch das dichterische Wort verlangt: nicht:
Eindeutigkeit,
Exaktheit
(akribeia), sondern adäquat gestuf-
te
Deutlichkeit
(sapheneia). Der Gegenstand: nicht das „Ob-
jekt“, sondern das
Gegenüber,
in dem, auch wenn es Ding ist,
die „Macht“ empfunden wird. Das
Organ:
nicht der gegen
alle Redundanzen abgeschirmte
Intellekt,
sondern der
ganze
Mensch
mit seinem Wahrnehmen, Fühlen, Erfahren.
(Wolfgang Schadewaldt)
Die größere Fülle von Gegebenem, die der Genius an jedem
Gegenstande hat, ist eine Fülle der letzten Wesenheiten der
Erscheinungen: eine
Fülle der puren Phänomene.
Der Geni-
us hat eine
füllehaltigere Welt
– und er hat sie an jedem belie-
bigen Punkte der konkreten Welt. Er ist für die Welt das, was
der Heilige für Gott, und was der Held für die Umwelt ist:
Er
schreitet in sie hinein und erweitert unsere Anschauung von ihr.
Dies aber vermag er durch die gesteigerte Reinheit seiner gei-
stigen Akte von allen zielgebenden Lebensaktionen und al-
len zu ihnen gehörigen Trieben und Bedürftigkeiten. In ihm
reißt sich – im Bilde gesagt – in der Tat die geistige Anschau-
ung und das geistige Fühlen los vom Dienste an das Leben, in
dessen Schranken der Geist inerhalb aller bloßen zivilisatori-
schen Tätigkeit verbleibt. Dieser Habitus ist die Bedingung für
eine vollendet
freie und reine Anschauung
und Erkenntnis der
Welt, und er ist auch Bedingung für das volle und reine Ver-
ständnis einer fremden Welt oder eines anderen Mikrokos-
mos. … – … Wir hatten gezeigt, daß der Liebesakt auf
allen
Wertgebieten das eigentliche Vehikel der Erweiterung und des
Vorstoßes in die Wertewelt ist. … – … nicht ausgelöscht, son-
dern in die Einheit eines Aktes
verdichtet
sind in der genialen
Anschauung alle nur möglichen Interessen an den Dingen.
… – … Die Erweiterung der Welt erfolgt nur im Genius. In
der vitalen Entfaltung erfolgt nur eine Erweiterung des „Mi-
lieus“, nicht der „Welt“. In der wissenschaftlichen Entfaltung
nur eine
Anpassung
an das Milieu. … Die Welt öffnet sich vor
der Weltliebe. … – … Die Dichtung ist nicht auf
reflektive Er-
kenntnis
der Wesenheiten und Wesenszusamenhänge gerich-
tet. Nur ihre faktische
Achtung
im intuitiven Phantasieden-
ken fordert sie. Das dichterische Werk ist ferner nichts, was
sein Maß außerhalb seiner hätte. Es ist Werk auch im Sinne
von „Gebilde“. – Da die Deckung von
Anschauung
und
Be-
griff
erst das
Wesen
gibt, so ist möglich: a) mehr Anschauung
durch Begriffe darstellen, b) mehr Begriffe der Wesenheiten
mittels Anschauung. Der Philosoph tut das erste, der Dich-
ter das zweite. Phantasie ist beiden notwendig. … – … Es ist
ein Irrtum, daß der natürliche Mensch seine Seele sich ab-
wickeln sieht, wie sie tatsächlich wird. Er ist vielmehr ganz
befangen in den Täuschungen, nur zu sehen, was
biologisch
wirkt, in den Täuschungen der Sprache und des überliefer-
ten Begriffsgerüstes seelischer Entitäten in dem sog. „Bild“.
Der Dichter ist der, der diese Schemata und Hemmungen des
„inneren Sinnes“, der Sprache, der soziologischen Relevant-
heiten durchbricht… – … Ekstasis durch und vermöge eines
Geistüberflusses und Lebensüberfluses – zuerst eines Liebes-
überflusses – und in der Ekstasis zurücktauchen in das dunk-
le, schöpferische Leben und in die „Ideen Gottes“, und Neu-
befruchtung dieser beiden metaphysischen Daseinselemente;
dann sich überlassen dem schöpferischen Prozeß, der in der
Konzeption beginnt: das ist künstlerische Tätigkeit… – … Die
künstlerische Tätigkeit, die in der Ausdruckstätigkeit wur-
zelt – schließlich die
objektivierte Ausdruckstätigkeit
ist, die
in der drängenden Kraft der Selbstrealisierung des Konzepti-
onsgehalts liegt –, ist sicherlich zuallererst Ausdruck des eroti-
schen Gefühls. Der „Luxus
der Ausdruckstätigkeit“
spielt hier
zuerst die entscheidende Rolle. Liebeslied, Liebesgesang als
Erinnerung und Dauerhaftmachung oder als Erwartung des
Festes der Vereinigung mit der Geliebten ist die erste Form der
Kunstübung. Auch die Sprache geht auf das Liebesstammeln
zurück. Noch heute lernt sie sich am besten durch die Liebe.
(Max Scheler)
Inhalt
Zeichenerklärung
und Benutzerhinweise
Einleitung
Die Materialbasis
Der Begriff der Idiomatik
Die Markierung der Ausdrücke
Gebrauch, Stil, Sprechereinstellung
Struktur und Funktion der Beispiele
Das Verweissystem
Die alphabetische Anordnung der Redewen-
dungen (Alphabetisierungsschema)
9*
11*
11*
11*
12*
12*
13*
14*
Zusammenstellung der für das Deutsche
relevanten „idiomatischen Funktionsver-
ben“ – die Idiomatik als Veranschauli-
chung der (verbalen) Grundkategorien
80*
III. Die pragmatischen Idioms
1. „Pragmatisch“ und „pragmatische Idioms“
2. Die „gesellschaftsorientierten“ phraseolo-
gischen Einheiten
3. Die sprechaktrestringierten Einheiten und
das Verhältnis Ich – Du – Sache
83*
83*
84*
85*
14*
Wissenschaftliche Einführung
I. Bild, Figur, Bild-(hinter-)grund
1. Die bildhaften Einheiten als „klassischer
Kern“ der idiomatischen Ausdrücke und
ihr innerer Zusammenhang in den We-
sensbildern
2. Die Figuren (der Übertragung) und ihr
Verhältnis zum Bild
3. Die Herkunftsbereiche der Bilder als
Präsuppositionsbasis, die „Schöpfung“ der
Wesensbilder und die Struktur des idioma-
tischen Sprachzeichens
19*
21*
IV. „Bild“ – „Bedeutung“ – „Idee“ in ihrer
Fundierungsordnung
– die Transposition der
Um- oder Lebenswelt in „Welt:“
– Der tiefere Sinn der Idiomatik
1. Das Wort als „natürliche Metapher“: die
Verschränkung von Allgemeinem und
Besonderem, die „Orientierung“ des Men-
schen durch seinen Leib und die Spannung
des Bildes zwischen Geist, Phantasie und
Begriff
2. Die linguistisch-anthropologisch-ideelle
Ebene des Bildschemas (am Beispiel von
| gehen |) und die Somatismen mit
Bein
und
Fuß
(als den Organen des Gehens oder
Laufens)
3. Der „Übergang“ des Bildes zur Bedeutung:
Exemplifizierung anhand der Verbindung
von |gehen| und Somatismen mit
Kopf;
„Bildbedeutung“ und „Sprachbedeutung“
91*
21*
38*
91*
43*
102*
II. Die „Aspektuierung“ der verbalen
festen Syntagmen (als Hauptbestand der
idiomatischen Einheiten)
1. sein
2. haben
3. werden
4. tun – machen
5. kommen und gehen
6. Andere häufige Pseudo- oder
Funktionsverben
53*
54*
57*
60*
63*
66*
106*
V. Ausklang
1. Die Verflechtung der Bilder, der Figuren
und des Vergleichs, die Magie des Worts
und ein Idiom als „Ausdruck“ der Liebe –
Gedanken zur Idiomatik anhand von
Spitzers Deutung von Prousts „Stil“
114*
78*
114*
Zgłoś jeśli naruszono regulamin