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Carlos Castaneda
Die Kraft der Stille
Neue Lehren des Don Juan
Aus dem Amerikanischen von
Thomas Lindquist
Scanned by Jingshen
Korrektur Haeresiarcha
Mit diesem Buch ist Don Juan, der große Zauberer und Weisheitsleh-
rer, zu seinen Jüngern zurückgekehrt, um souverän wie immer in der
Kunst der Führung und Verführung seine Leser mit Visionen und
Wundern in seinen Bann zu schlagen. Der in allen philosophischen
Kunstgriffen erfahrene Magier und Schamane fasziniert wieder durch
Denkspiele und wunderliche Geschichten. Don Juans Wunderwelten
sind indes nicht nur ein magisches Zauberwerk, an dem der Leser sich
ergötzen kann, sondern sind eingebunden in ein System von ethischen
und philosophischen Vorstellungen, das die Wirklichkeit, wie wir sie
zu kennen glauben, in Frage stellt und immer wieder zu neuen Wirk-
lichkeitsufern führt. Denn Castaneda versteht sich nicht als Erzähler
unverbindlicher Märchen und Zaubergeschichten, sondern als Poet,
Mystiker und Philosoph in einer globalen Denktradition.
Carlos Castaneda starb 1998.
Von Carlos Castaneda sind außerdem im Fischer Taschenbuch Verlag
erschienen: >Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens<
(Bd. 1457); >Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don
Juan< (Bd. 1616); >Reise nach Ixtlan. Die Lehre des Don Juan< (Bd.
1809); >Der zweite Ring der Kraft< (Bd. 3035); >Der Ring der Kraft.
Don Juan in den Städten< (Bd. 3370); >Die Kunst des Pirschens< (Bd.
3390); >Das Feuer von innen< (Bd. 5082); >Die Kunst des Träumens<
(Bd. 14166); und >Das Wirken der Unendlichkeit (Bd. 14740).
Im S. Fischer Verlag sind erschienen: >Tensegrity. Die magischen Be-
wegungen der Zauberer (1998) und >Das Wirken der Unendlichkeit
(1998).
Unsere Adresse im Internet: www.fischer-tb.de
Inhalt
8. Auflage: April 2001
Ungekürzte Ausgabe
Veröffentlicht im Fischer Taschenbuch Verlag GmbH,
Frankfurt am Main, Mai 1992
Lizenzausgabe mit Genehmigung des
S. Fischer Verlags GmbH, Frankfurt am Main
Die amerikanische Originalausgabe erschien 1987
mit dem Titel >The Power of Silence; Further Lessons of Don Juan<
im Verlag Simon and Schuster, New York
© Carlos Castaneda 1987
Für die deutsche Ausgabe:
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1988
Druck und Bindung: Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany
ISBN 3-596-10926-4
V o rw o rt..............................................................................
E in leitu n g ..........................................................................
1. D ie O ffen b aru n gen d es G eistes .......................................
D er erste ab strakte K ern .................................................
D ie M akello sigkeit d es N agu al E lias ................................
2. D as A n klo p fen d es G eistes ..............................................
D as A b strak te .................................................................
D ie letzte V erfü h ru n g d es N agu al Ju lian ..........................
3. D ie T äuschungen des G eistes ............................................
D as B in d eglied zu m G eist läu tern ....................................
D ie vier Stim m ungen des
P irschens ..................................
4. D as H erab steigen d es G eistes .........................................
D en G eist
sehen ..............................................................
D er S alto d es D en k en s ...................................................
D en M o n tagep u n kt b ew egen ...........................................
D er P latz o h n e E rb arm en ...............................................
5. D ie V o rau ssetzu n gen d er A b sich t ....................................
D en S p iegel d er S elb stb etrach tu n g zerb rech en .................
D ie F ah rkarte zu r M akello sigk eit ...................................
6. D ie
A b sich t
d u rch fü h ren .................................................
D er d ritte P u n k t..............................................................
D ie b eid en E in b ah n -B rü cken .........................................
D ie E rsch ein u n g
beabsichtigen .......................................
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Vorwort
Meine Bücher sind wahre Berichte über eine Lehrmethode, mit
deren Hilfe Don Juan Matus, ein indianischer Zauberer in Me-
xiko, mir die Welt der Zauberer zu verstehen half. In diesem
Sinne sind meine Bücher Berichte über einen noch immer in
Gang befindlichen Prozeß, der mir immer klarer wird, je mehr
Zeit verstreicht.
Es braucht Jahre, um uns den intelligenten Umgang mit der
Welt unseres Alltagslebens zu lehren. Unsere Schulung - ob in
schlichter Logik oder in akademischen Fächern - ist streng, weil
das Wissen, das wir zu vermitteln suchen, sehr kompliziert ist.
Die gleichen Kriterien gelten für die Welt der Zauberer: Ihre
Schulung, die auf mündlicher Unterweisung und auf
Manipulation des Bewußtseins beruht, ist ebenso streng, wenn
auch anders als die unsere; denn ihr Wissen ist ebenso
kompliziert - oder vielleicht
noch
komplizierter.
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Einleitung
Verschiedene Male hatte Don Juan mir zuliebe versucht, sein
Wissen mit einem Namen zu benennen. Die passendste
Bezeichnung, fand er, sei
Nagualismus,
doch sei ein solcher
Begriff zu unverständlich. Einfach von »Wissen« zu sprechen,
wäre zu unbestimmt, und ein Wort wie »Hexerei« sei
abwertend. »Beherrschung der
Absicht«
klang zu abstrakt, und
»Suche nach absoluter Freiheit« war zu lang und zu symbolisch.
Schließlich, und mangels eines passenderen Namens,
bezeichnete er es als »Zauberei«, auch wenn er einräumte, daß
dieses Wort nicht wirklich zutraf. Über die Jahre hatte er mir
verschiedene Definitionen von Zauberei genannt; aber immer
hatte er betont, daß solche Definitionen sich ändern, sobald
unser Wissen zunimmt. Gegen Ende meiner Lehrzeit glaubte
ich genug verstanden zu haben, um eine genauere Definition zu
würdigen, und darum fragte ich ihn noch einmal. »Aus der Sicht
des Durchschnittsmenschen«, sagte Don Juan, »ist Zauberei
Unfug oder ein finsteres Geheimnis, das er nicht begreift. Und
er hat recht - nicht weil dies eine unabänderliche Tatsache wäre,
sondern weil der Durchschnittsmensch nicht genug Energie hat,
um sich auf die Zauberei einzulassen.« Er machte eine kurze
Pause, dann fuhr er fort: »Der Mensch kommt mit einem
gewissen Quantum an Energie zur Welt - eine Energie, die sich
von Geburt an konsequent entfaltet, um durch die Modalität der
Zeit möglichst vorteilhaft genutzt zu werden.« »Was verstehst
du unter Modalität der Zeit?« fragte ich. »Die Modalität der Zeit
ist jenes Bündel von Energiefeldern, das wir wahrnehmen«,
antwortete er. »Die Wahrnehmung des Menschen hat sich,
glaube ich, im Lauf der Jahrhunderte verändert. Der
augenblickliche Zeitpunkt ist es, der den Modus unserer
Wahrnehmung bestimmt. Die Zeit bestimmt, welches aus einer
unendlichen Zahl von gebündelten Energiefeldern jeweils
genutzt werden soll. Die Beschäftigung mit dem Zeitmodus -
mit den wenigen ausgewählten Energiefeldern - verbraucht alle
unsere Ener-
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gie, und uns bleibt nichts, was uns helfen könnte, andere Energie-
felder zu nutzen.«
Don Juan runzelte die Stirn und drängte mich, dies alles noch ein-
mal zu überdenken.
»Nichts anderes wollte ich ausdrücken, als ich sagte, daß der
Durchschnittsmensch nicht genug Energie hat, um sich mit Zaube-
rei zu beschäftigen«, fuhr er fort. »Nutzt er nur jenes Quantum
Energie, das er hat, dann kann er nicht die Welten wahrnehmen,
welche die Zauberer sehen. Um diese wahrzunehmen, müssen die
Zauberer ein Bündel von Energiefeldern anzapfen, das normaler-
weise nicht genutzt wird. Will der Durchschnittsmensch diese Wel-
ten wahrnehmen und die Wahrnehmungen der Zauberer verste-
hen, dann muß er genau dasselbe Bündel nutzen, das sie genutzt
haben. Und dies kann der Durchschnittsmensch nicht, weil seine
ganze Energie schon verbraucht ist.« Er machte eine Pause und
suchte nach passenden Worten, um den Sachverhalt zu schildern.
»Stelle es dir folgendermaßen vor«, sagte er. »Was du im Lauf der
Zeit lernst, ist ja nicht die Zauberei; vielmehr lernst du, Energie zu
sparen. Und diese Energie wird dich befähigen, einige Energiefel-
der zu erschließen, die dir jetzt noch unzugänglich sind. Das näm-
lich ist die Zauberei: die Fähigkeit, Energiefelder zu nutzen, die
beim Wahrnehmen der alltäglichen Welt, wie wir sie kennen, nicht
genutzt werden. Zauberei ist ein Bewußtseinszustand. Zauberei
ist die Fähigkeit, etwas wahrzunehmen, was die gewöhnliche
Wahrnehmung nicht wahrzunehmen vermag.
Alles, was ich dich lehrte«, fuhr Don Juan fort, »jede Einzelheit,
die ich dir zeigte, war nur ein Hilfsmittel, um dir zu demonstrieren,
daß uns mehr Möglichkeiten offenstehen, als wir glauben. Wir
brauchen keine Lehrer der Zauberei, denn eigentlich gibt es da
nichts zu lernen. Was wir brauchen, ist ein Lehrer, der uns über-
zeugt, daß uns unendliche Kräfte zu Gebote stehen. Welch ein
sonderbares Paradoxon! Alle Krieger auf dem Pfad des Wissens
glauben irgendwann, sie erlernten die Zauberei. In Wirklichkeit
aber lassen sie sich nur überzeugen, welche Kraft in ihnen selbst
steckt und wie sie diese erreichen können.«
»Und du, Don Juan, willst du mich überzeugen?«
»Sehr richtig. Ich will dich davon überzeugen, daß du diese Kraft
erreichen kannst. Ich bin den gleichen Weg gegangen. Und ich ließ
mich genauso schwer überzeugen wie du.«
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»Was machen wir mit dieser Kraft, sobald wir sie erreicht haben,
Don Juan?«
»Nichts. Sobald wir sie erreicht haben, nutzt sie von selbst jene
Energiefelder, die uns zugänglich, aber normalerweise unerreich-
bar sind. Nichts anderes ist, wie gesagt, die Zauberei. Und nun
beginnen wir etwas anderes zu
sehen
- das heißt, wahrzunehmen:
nicht als Phantasie, sondern ganz real und konkret. Und wir wis-
sen, ohne daß wir dieses Wissen mit Worten auszudrücken brauch-
ten. Was der einzelne anfängt mit diesem stillen Wissen, dieser
gesteigerten Wahrnehmung, ist abhängig von jenem jeweiligen
Temperament.«
Ein andermal hatte Don Juan mir eine andere Erklärung gegeben.
Wir führten gerade ein Gespräch, das mit diesen Dingen gar nichts
zu tun hatte. Da wechselte er plötzlich das Thema und erzählte mir
einen Witz. Lachend klopfte er mir den Rücken, ganz leicht, zwi-
schen den Schulterblättern - als sei er zu schüchtern, mich körper-
lich zu berühren. Er kicherte über mein nervöses Zusammenzuk-
ken.
»Du bist zappelig«, lachte er und schlug mich kräftiger auf den
Rücken.
Meine Ohren summten. Ich mußte nach Luft schnappen. Es war
ein Gefühl, als hätte er meine Lunge verletzt. Ich konnte nur müh-
sam atmen. Aber nachdem ich mich einige Male geräuspert und
gehustet hatte, weitete sich meine Nase, und ich atmete mit tiefen,
ruhigen Zügen. Es war solch ein angenehmes Gefühl, daß ich ver-
gaß, mich über den harten und unerwarteten Schlag zu ärgern.
Und nun begann Don Juan mit einer bemerkenswerten Erklärung.
Kurz und bündig gab er mir eine andere - genauere - Definition
der Zauberei.
Ich war in einen wunderlichen Bewußtseinszustand geraten! Ich
empfand eine solche Geistesklarheit, daß ich alles, was Don Juan
mir sagte, aufnehmen und verstehen konnte. Im Universum, so
erklärte er, gibt es eine unermeßliche und unbeschreibliche Kraft,
welche die Zauberer als
Absicht
bezeichnen. Und alles im Kosmos
Existierende ist durch ein Bindeglied mit der
Absicht
verknüpft.
Die Zauberer - oder Krieger, wie er sie nannte - seien stets be-
müht, dieses Bindeglied zu klären, zu verstehen und zu nutzen.
Vor allem seien sie bemüht, dieses Bindeglied von den lähmenden
Folgen zu läutern, wie die gewöhnlichen Sorgen des Alltags sie
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